Brücken bauen © Didier Weemaels/@didwee

Das Problem der Festlegung gerechter Mitgliedsbeiträge

Es ist der ausgesprochene oder unausgesprochene Anspruch von Verbänden, gerechte Beiträge zu erheben. Ist das eigentlich sinnvoll? Ist es überhaupt machbar? Gerechtigkeit ist erreicht, wenn keiner mehr meckert.

Gerechtigkeitsprinzipien

Gerechtnigkeitsprinzipien

Fair is foul, and foul is fair

Analog einer staatlichen Einkommensumverteilung kann man die Beitragserhebung in Verbänden verschiedenen Gerechtigkeitsprinzipien zuordnen.

Die gängigsten sind:

Gleichheitsprinzip : Alle zahlen das gleiche (Egalitarismus).

Leistungsprinzip : Das Verhältnis von Beitrag und Nutzen ist für alle Mitglieder gleich.

Bedürfnisprinzip : Jedes Mitglied zahlt nach seiner Finanzstärke.

Zu erwähnen ist das kommunistische Prinzip (»Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.«) Unterschwellig wird dies den meisten Beitragsordnungen zugrundeliegen – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Allerdings hängt dies auch mit der besonderen Form der Leistungen zusammen, die Verbände erbringen. (Dazu später mehr.)

Beispiel EFPMA: Ein fixer Soll-Haushalt musste auf die schwankende Zahl der Mitglieder jährlich neu aufgeteilt werden.

Als problematisch möchte ich gleich das Solidarprinzip hervorheben, das immer wieder gern bemüht wird, um Beitragsordnungen zu erhalten und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Verbandsmitglieder zu beschwören. Es stößt sehr schnell an seine Grenzen, wenn ein Verband Mitglieder verliert.

Wichtig ist schließlich die Verfahrensgerechtigkeit: Die bisher unterstellte Existenz einer Beitragsordnung ist ein Ausfluss der Verfahrensgerechtigkeit – es zahlt eben nicht jeder nach Gutdünken oder individueller Verhandlung.

Es ist ein wenig wie bei Pornographie: Ich kann es nicht definieren, aber ich erkenne es, wenn ich es sehe.

Wann ist eine Beitragsordnung nun gerecht? Was macht eine gerechte Beitragsordnung aus? Wann wird der eigene Beitrag vom Mitglied als gerecht empfunden?

These 1: Alle Beitragsordnungen sind ungerecht.

Dies gilt fast immer zumindest aus Sicht einiger Mitglieder.

Einigungsproblem

Der Grund: Im Prinzip müssen sich alle Mitglieder auf die der Beitragsordnung zugrundeliegenden Gerechtigkeitsprinzipien einigen (Einigungsproblem).

Das heißt, unabhängig von den jeweils anzuwendenden Prinzipien oder Mischformen:

  • Für jedes Mitglied muss der eigene Beitrag “ok” sein.
  • Für jedes Mitglied muss sein Beitrag im Vergleich zum Beitrag der anderen Mitglieder „ok“ sein. Dies kann man auch anders sagen: Für jedes Mitglied müssen die Beiträge aller anderen Mitglieder “ok” sein.

Es ist evident, dass das ausgesprochen schwierig ist. Es setzt nämlich theoretisch voraus, dass die beiden Aspekte der Gerechtikeit erfüllt sind, von denen eine oft nicht genannt wird, die deshalb hier nochmals klar formuliert werden sollen:

  • Horizontale Gerechtigkeit: Gleiches wird gleich behandelt.
  • Vertikale Gerechtigkeit: Ungleiches wird ungleich behandelt.

Besonders in der vertikalen Gerechtigkeit liegt oft der Hase im Pfeffer. Wir fühlen uns im allgemeinen im Vergleich zu anderen allzu leicht übervorteilt.

Fallbeispiele

Betrachten wir verschiedene idealtypische Beitragskonstruktionen, die wir vereinfacht auf einer Achse vom Solidarprinzip bis zum Leistungsprinzip darstellen können.

Gleicher Beitrag

Ein völlig gleicher Beitrag liegt zum Beispiel bei Sportvereinen, teilweise bei berufsständischen Vereinigungen oder beim ADAC vor. Merkmale dieser Verbände:

  1. sehr viele oder sehr homogene Mitglieder
  2. gleichartige, gleich starke Interessen. Denn was gleich ist, das ist eben gleich.
  3. gleiche Nutzenverteilung

Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung

Das Gegenteil entspricht dem Prinzip “do ut des”. Hier ist das Solidarprinzip völlig aufgelöst; der Verband ist lediglich Dienstleister seiner Mitglieder, einem Consultant nicht unähnlich. Denkbar ist auch, dass man die Gemeinschaftsleistungen des Verbandes zu quantifizieren versucht und den einzelnen Mitgliedern zurechnet. Weil man hier in der Regel nur zu Näherungslösungen kommt, sind die meisten Beitragsordnungen Mischformen.

Bedürfnisprinzip

Man versucht, den Solidaraspekt mit dem Kosten/Nutzenaspekt zu vereinbaren. Eine Vielzahl von Möglichkeiten ist in der Praxis anzutreffen. Zum Beispiel:

  • EFPMA: Verteilung eines Gesamtbudgets über “Shares” unter den (unterschiedlich großen) Mitgliedern.
  • PROFEL: Erhebung eines Fixbeitrags pro Mitglied zuzüglich eines variablen Beitrags nach Branchenumsatz.
  • BOGK: Erhebung eines Mindesbeitrags (Solidarprinzip), eines Höchstbeitrags (Gleichheitsprinzip: Allzu große Unterschiede soll es dann doch nicht geben), und eines variablen Beitrags.

Hier werden gleich mehrere Sollbruchstellen von Beitragsordnungen offenkundig:

  • Wie hoch sollen Mindest- und Höchstbeitrag sein?
  • Wie geht man mit der kalten Progression um (bei umsatzbasierten Beitragsordnungen)?
  • Welches ist die richtige Bemessungsgrundlage? Im Fall des BOGK lässt sich die Unterscheidung nach den Interessen der Mitglieder rechtfertigen (oder historisch).
  • Welchen Hebesatz wählt man?
  • Soll der Beitrag in Stufen oder kontinuierlich erhoben werden?
  • Erhebt man eine flat rate oder einen progressiven oder degressiven Beitrag?

Äquivalenz

Der zweite Grund für die generelle Ungerechtigkeit von Beitragsordnungen liegt in einem weiteren Aspekt der Beitragserhebung, nämlich darin, dass die Beiträge wieder ausgegeben werden und dabei den Mitgliedern unterschiedlich nutzen. Das heißt, die Frage der Ausgabengerechtigkeit wird implizit bei der Frage der Einnahmengerechtigkeit mitentschieden. Ich habe das unter dem Stichwort Leistungsgerechtigkeit und bei der Frage der Bemessungsgrundlage schon angesprochen. Generell gilt:

Die Gerechtigkeitsprinzipien passen unterschiedlich gut zu den jeweiligen Zielen oder Aufgaben des Verbandes.

Daraus folgt meine

These 2: Gerechtigkeit ist eine Frage des Zeitgeistes.

Verbandsentwicklung

Verbandsgeschichte

Vereinfacht gesehen kann man die Geschichte der meisten Wirtschaftsverbände wie folgt darstellen.

Zunächst als Unternehmerclub gegründet, hatten die Verbände vor allem ihre raison d’être als Ort des Austauschs, oder wie Adam Smith es formuliert hat:

Geschäftsleute des gleichen Gewerbes kommen selten, selbst zu Festen und zur Zerstreuung zusammen, ohne dass das Gespräch in einer Verschwörung gegen die Öffentlichkeit endet oder irgendein Plan ausgeheckt wird, wie man die Preise erhöhen kann.
– Adam Smith

Hier bieten Verbände ein klassisches Clubgut an, also ein solches, das nur den Mitgliedern der Vereinigung zugute kommt, dabei innerhalb der Mitgliederschaft aber jedem so, dass es zwischen ihnen nicht aufgeteilt werden kann. Ein Clubgut ist dadurch definiert, dass die Mitglieder eines Clubs von der Nutzung nicht ausgeschlossen werden können, die Nichtmitglieder aber wohl. Es ist mithin quasi innerhalb des Clubs ein öffentliches Gut und im Verhältnis Insider–Outsider ein privates Gut. In dieser Konstellation mag ein einheitlicher Clubbeitrag durchaus eine gerechte – und vor allem einfache – Konstruktion sein.

Insbersonde nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland haben die meisten Wirtschaftsverbände sich sehr um die Gesetzesentwicklung und Standardsetzung gekümmert. Sie haben somit ein Gut geschaffen, das zunehmend auch Nichtmitgliedern Nutzen brachte. Innerhalb der meisten Verbände konnte man davon ausgehen, dass größere Unternehmen auch größere Vorteile von einheitlichen, weit entwickelten Rechtsnormen und verbindlichen Standards hatten. Insofern ist die häufig anzutreffende Orientierung der Mitgliedsbeiträge an den Umsätzen erklärbar.


Zunehmend agieren Wirtschaftsverbände im Bereich des politischen Lobbyings und der Öffentlichkeitsarbeit. Hier haben die Mitglieder meist nur noch den Vorteil, die »Linie« des Verbands mitbestimmen zu können. Immer mehr wird die Verbandsleistung zu einem öffentlichen Gut. Entsprechende Motivationsprobleme bei der Mitgliedergewinnung sind kein Wunder. Je weniger Nichtmitglieder ausschließbar werden, umso größer werden auch die Spannungen innerhalb unterschiedlich zahlender Mitglieder wieder: Immerhin ist nicht einsehbar, warum Beitragsunterschiede bestehen sollen, wenn der Verbandsnutzen sogar für Nichtmitglieder ähnlich hoch ist wir für Mitglieder.

An dieser Stelle ist es eine vordringliche Aufgabe für Verbände, neue Leistungen anzubieten, die den Mitgliedern auf individueller Basis angeboten werden und damit ein Anreiz sein können, Verbandsmitglied zu bleiben. Zunehmend sehen wir dies: Seien es Versicherungen, die der ADAC anbietet, seien es Arbeitskreise oder Leistungspakete jeglicher Art der typischen Wirtschaftsverbände, mit denen sie das Involvement ihrer Mitglieder erhöhen wollen.

So wie dies gelingt, kann entweder eine klassische Beitragsordnung damit begründet werden, dass jedes Mitglied aus den (individualisierbaren) Leistungen des Verbands sich diejenigen wie aus einem Buffet heraussucht, die es benötigt, um eine Äquivalenz für sich herzustellen. In diesem Fall muss die Geschäftsführung ständig darauf bedacht sein, die Harmonie im Verband dadurch zu erhalten, dass sie jedem Mitglied seine individuelle Besonderheit erklärt, denn nur dann ergeben Vergleiche zwischen den Mitgliedern keinen Sinn.

Oder die Beitragsordnung erhält gleich Elemente der direkten »In-Rechnung-Stellung« von einzelnen Verbandsleistungen. Hier wird der Verband sehr stark zu einem Dienstleistungsanbieter, ähnlich Consultants oder Medienagenturen.

In jedem Fall die Beitragsfrage eine der zentralen Herausforderungen für die Geschäftsführung und eine Daueraufgabe. Denn, um es nochmals zusammenzufassen: Eine gerechte Beitragsordnung gibt es nicht. Und keine Beitragsordnung hat Bestand.