© James Kemp

Dokumentenmanagementsysteme für Verbände (Teil 3)

Im dritten Text zum Thema Dokumentenmanagement gehen wir zurück zu den Wurzeln: Wir erläutern etwas genauer, warum das Dateisystemen einem Dokumentenmanagementsystem überlegen ist, und welche Helferprogramme man in Betracht ziehen sollte.

Herkömmliche Ablage in (Leitz-)Ordnern

Täglich kommen unzählige Dokumente im Verband an: E-Mails, Webseiten, PDFs, eingescannte Dokumente, Anlagen in E-Mails (Office) und die »alten« analogen Dokumente wie Briefe, Rechnungen usw. In der Vergangenheit, als alles auf Papier kam, hat man diese Dokumente in Ordnern abgelegt. Dazu gab es mehr oder weniger komplexe Ablagepläne und Aktenzeichen. Diese waren in der Regel hierarchisch organisiert. Passten Dokumente in verschiedene Sinnzusammenhänge, wurden sie fotokopiert und in mehreren Ordnern abgelegt.

Hierarchische Dateisysteme

Die alte Ordnerstruktur kann man im Rahmen einer elektronischen Ablage im Dateisystem wiederherstellen. Von Nutzern werden dabei u. a. folgende Probleme geschildert:

  • Obwohl das Prinzip das gleiche ist, werden derartige elektronische Ablagesysteme als unübersichtlicher empfunden als Papierordner.
  • Es gibt den Anspruch, schon aus dem Dateinamen auf den Inhalt einer Datei schließen zu können.
  • Dateinamen dürfen nicht doppelt vorkommen.
  • Die manuelle Umbenennung von Dateien ist aufwändig.
  • Man scheut sich, Dateien zu kopieren, um sie in mehreren Ordnern abzulegen. U. a. wird dies mit einer entstehenden möglichen Inkonsistenz der Datenablage begründet.
  • Die manuelle Markierung eines Dokuments mit einem Aktenzeichen (z. B. ein Stempel) erscheint als nicht möglich.
  • Das gemeinsame Arbeiten mit dem Dateisystem (z. B. auf dem Server) erscheint kompliziert.

Kurz: Dateisysteme werden als umständlich und/oder unzureichend empfunden.

Dokumentenmanagementsysteme

Zur Lösung dieser Probleme erscheint der Einsatz spezialisierter Software notwendig. Es gibt zahllose Lösungen für Einzelplätze und Arbeitsgruppen, für verschiedene Betriebssysteme, basierend auf Web/Cloud, mit und ohne Versionskontrolle, Zugangskontrolle, Berechtigungsmanagment, Veröffentlichungsmöglichkeit usw. Diese Komplexität wiederum erscheint in der Praxis eines Verbandes mindestens als ungewohnt und ist vielfach sicherlich unnötig.

Die meisten Dokumentenmanagementsysteme sind außerdem darauf ausgelegt, die Bearbeitungsprozesse digitaler Dokumente vollständig abzubilden und zu begleiten und werden damit schnell zum alleinigen Verwaltungssystem. Mit anderen Worten: Alle Daten sind nur noch im System vorhanden und nur mit dem System zugänglich. Damit stellt sich die Frage der langfristigen Verfügbarkeit der Daten für den Verband, auch nach einem möglichen Ende des Einsatzes der jeweiligen Software.

Anforderungen an die Dokumentenverwaltung

Vor der Entscheidung für ein elektronisches Ablagesystem ist eine genauere Analyse der Anforderungen an Ablage und Management von Dokumenten im Verband notwendig. Es gibt hier grundsätzlich zwei Ansätze:

  1. Bibliothek: Bei diesem Ansatz werden alle eingehenden Dokumente gesichert und verfügbar gehalten, unabhängig davon, ob sie jemals tatsächlich benötigt werden. Weil a priori nicht vollständig klar ist, in welchem Zusammenhang ein Dokument später benötigt wird, ist eine Einordnung in ein hierarchisches Ablagesystem nicht zielführend. Hier hilft nur eine Verschlagwortung.

  2. Handakte: Ausgehend von der Feststellung, dass die meisten eingehenden Dokumente niemals benötigt oder im Zweifelsfall schnell aus der originalen Quelle wieder abgerufen werden können, werden nur die Dokumente aufbewahrt, die für die unmittelbare Bearbeitung eines Vorgangs oder Projekts notwendig sind. Hier ist die hierarchische Ablage möglich. Die Ablage ist bewusst nicht langfristig angelegt.

Denn die meisten Dokumente haben in der Praxis eine »Halbwertszeit« von drei Monaten. D. h. nach dieser Zeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sie noch einmal benötigt, auf die Hälfte gesungen. Nach einem Jahr ist die so gemessene Relevanz eines Dokuments auf unter 5 % gesunken. Falls man nach einem Dokument zu einem Thema sucht, wird man sicher ein wesentlicheres finden. Nach einem Jahr kann das Dokument – oder gleich der ganze Ordner – in ein »entferntes« Ablage-Fach verschoben oder gelöscht werden.

Dateisysteme, revisited

Beide o. g. Ansätze sind mit modernen Betriebssystemen »mit Bordmitteln« handhabbar. Zum Teil gibt es die notwendigen Funktionen schon seit Jahrzehnten – sie sind nur wenig bekannt. Einige neuere Funktionen – wie die Verschlagwortung – sind in Windows und Mac OS X nur umständlich gelöst. Hier kann der Einsatz kleiner Helferprogramme sinnvoll sein. Der Einsatz »ausgewachsener« Dokumentenmanagementsysteme ist aber nicht notwendig.

Und so kann eine Dokumenten-Verwaltung »mit Bordmitteln« aussehen:

Grundsätzlich legt man am besten einen zentralen Ordner (hier abgekürzt dargestellt als /) auf dem betrieblichen Server an, in dem Dateien der von allen Mitarbeitern gelesen und geschrieben werden können. Innerhalb dieses Ordners entsteht dann eine mehr oder minder komplexe Ordnerstruktur. (Datensicherheit erreicht man über eine systemweite automatische Sicherung mit Versionierung, z. B. TimeMachine unter Mac OS X.)

1. Bibliothek

Die Bibliothek benötigt im Prinzip keine weiteren Ordner innerhalb von /. Alle Dateien werden einfach hierhin kopiert. Gelegentlich müssen Namenskonflikte manuell gelöst werden.

Wichtig in diesem System ist die Verschlagwortung. Weil Mac OS X diese etwas umständlich anbietet, empfiehlt sich der Einsatz spezialisierter Software, die die Vergabe von Schlagwörtern an die Dateien erleichtert und in der Regel auch eine mächtigere Suchfunktion anbietet als die des Betriebssystems. Die Dateien bleiben jedenfalls aber auf Betriebssystemebene gespeichert. Zusätzliche Software stellt nur ein etwas komfortableres Dateimanagement zur Verfügung. Beispiele: Fresh, Yelp, Yep, Together 3, usw.

Die oben genannten Probleme mit dem Dateisystem erweisen sich als nicht stichhaltig: Die Unübersichtlichkeit ist gewollt (niemand greift direkt auf Dateien zu; alle Dateien werden über Schlagwörter wiedergefunden). Dateinamen sind deshalb vollkommen unwichtig. Es gibt je nur eine Masterkopie jeder Datei.

2. Handakte

Das Prinzip Handakte benötigt zwingend eine hierarchische Ordnerstruktur. Es empfiehlt sich, grundsätzlich zwei Ordner anzulegen, nämlich für die aktuellen Dateien und für die veralteten, zum Beispiel als /Aktuell und /Archiv. Die innere Struktur der beiden Ordner ähnelt sich notwendigerweise. Welches hierarchische System man wählt, ist Geschmacksache. Möglich ist eine Aufteilung nach Arbeitsgebieten, Projekten, Vorgängen und Sitzungen. Denkbar ist eine Aufteilung nach Verantwortlichkeit. Mischsysteme sind machbar; oder man überlässt jedem Mitarbeiter prinzipiell die Entscheidung selbst und regelt nur die Ablage-Struktur für die zwingend gemeinsam zu bearbeitenden Vorgänge. Alte Vorgänge werden zu gegebener Zeit in regelmäßigen Abständen in den entsprechenden Archiv-Ordern verschoben oder gelöscht.

Auch dieses System kommt ohne große Softwarelösung aus und löst doch alle eingangs genannten Probleme: Eine sinnvolle Struktur ist selbsterklärend und genauso übersichtlich wie eine Ablage mit Papierordnern. Da nur die wichtigsten Dokumente abgelegt werden, behält man innerhalb der jeweiligen Ordner auf der »untersten« Ebene den Überblick, auch unabhängig von Dateinamen. (Auch hier müssen Dateinamenskonflikte ggf. manuell gelöst werden, oder man verlässt sich auf die automatische Umbenennung durch das Dateisystem.) Eine Software, die eine hinreichend große Dokumentenvorschau ermöglicht, wenn eine Datei angeklickt wird (bei Mac OS X z. B. Quick Look), erleichtert dies. Lediglich die manuelle Markierung einer Datei ist diesem Prinzip systemfremd. Sie ist aber möglich. Schlagworte (hier eher prozessorientiert als inhaltlich, also z. B. »in Bearbeitung« oder »Rückruf«) bleiben ja genauso möglich. Schließlich lässt sich das Problem »doppelter« Dateien, z. B. in thematischen Ordnern und in Sitzungsordnern, durch das Anlagen von Dateiverweisen (Windows) oder der Herstellung eines Alias (Mac OS X) leicht lösen. (Diese Funktion gibt es schon seit Jahrzehnten und ist leider recht unbekannt, vielleicht auch, weil man in beiden Systemen einen Rechtsklick auf die Datei benötigt. Auch hier ist der Einsatz einer speziellen Software »on top« des Dateisystems sinnvoll.)

E-Mail und andere Schrecklichkeiten

Leider kommen nicht alle Dokumente im Verband als PDF-Dateien auf einem USB-Stick daher. Neben diesen müssen wichtige E-Mails abgelegt, Webseiten gesichert und Dokumente aus elektronischen Rundschreibendiensten der jeweiligen Dachverbände gespeichert werden. E-Mail-Programme, Browserverläufe und Mitglieder-Extranet-Systeme versprechen, Dokumente mehr oder minder schnell wieder auffindbar vorzuhalten.

Doch gibt es zwei bedeutende Probleme: Erstens ist nicht sicher, ob man stets Zugriff auf die verwendeten Systeme hat. Und zweitens zersplittert man so seine Ablage über mehrere parallele »Orte«. Im schlechtesten Fall muss man an allen Orten nacheinander suchen. Dies wird noch dadurch erschwert, dass zumindest E-Mail-Clients und Webbrowser nicht in erster Linie als Dokumentenmanagementsysteme konzipiert sind.

Daher sei dringend empfohlen, alle zu sichernden Dokumente aus den jeweiligen Applikationen zu kopieren und in der zentralen Ablage im Dateisystem zu speichern. E-Mails lassen sich im EML-Format speichern, Webseiten als Webarchive. Beide öffnen sich bei einem Doppelklick wieder in der jeweiligen App. Anlagen aus E-Mails bzw. Dokumente aus Extramet-Systemen liegen sowieso als PDF- oder Office-Dateien vor. Im System »Bibliothek« braucht man außerdem nicht auf die – möglicherweise nur rudimentär vorhandene – Möglichkeit zur Verschlagwortung in den jeweiligen Apps zurückzugreifen und verhindert den Aufbau paralleler Schlagwortkataloge.

Ein Workflow

Der Wissensarbeiter im Verband hat somit eigentlich eine ganz einfache Aufgabe: Eingehende Dokumente werden aus ihren »Transportbehältnissen« (E-Mail, Extranet, Website usw.) gelöst und im Dateisystem gespeichert. Je nach Bedarf werden sie in eine logische Ordnerstruktur einsortiert – ggf. mithilfe von Verweisen mehrfach – oder verschlagwortet. Eine zusätzliche kleine Software kann hierbei helfen. Wird ein Dokument wieder benötigt, findet man es leicht aus dem Kontext oder über die Schlagwortsuche.

Das ganze »System« kommt im Prinzip »mit Bordmitteln« aus. Moderne Dateisysteme sind mächtig genug für Dateiverwaltung und Backuplösungen. Schnelle Suchfunktionen ermöglichen »im Notfall« eine Volltextsuche. Langfristig sind die Daten sicherer als in proprietären, oft monolithischen Dokumentenmanagementsystemen. Jegliche »Convenience«, die diese zusätzlich anbieten, wie z. B. einen eingebauten Rundschreibendienst oder dergleichen, kann mit einfacheren Lösungen zusätzlich jederzeit und nach Bedarf modular ergänzt werden.