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Lobbying und Demokratieverständnis

Lobbying ist die Kunst, den richtigen Vorschlag zur richtigen Zeit zu unterstützen. Die Beeinflussung der Meinungsbildung der Parlamentarier ist sehr begrenzt. Im besten Fall bringt der Lobbyist Fakten und Sachverstand in den demokratischen Willensbildungsprozess ein. Das Abstimmungsergebnis dagegen hängt von den politökonomischen Interessen der Abgeordneten und ihrer Parteien ab.

Wie mächtig ist die Lobby?

In einem kürzlich erschienen Blog-Artikel wird die Macht der Lobbyisten anschaulich vorgeführt. Das Bundesverkehrsministerium sei dazu beeinflusst worden, eine Liberalisierung der Autonummernschilder vorzuschlagen – und dass aufgrund der Vorlage einer fragwürdigen wissenschaftlichen Studie.

Wenn es nur so einfach wäre.

Was als »Lehrstück des Lobbyismus« bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit nur ein kleiner Ausschnitt aus der recht typischen Verbandsarbeit – ohne dass jedoch der Erfolg garantiert wäre. Die Beeinflussung der Gesetzgebung ist nicht so einfach. Denn am Gesetzgebungsprozeß kommt niemand vorbei – und auch nicht am Gesetzgeber selbst.

Aber der Reihe nach:

Selbstverständlich ist es die hohe Kunst des Lobbyismus, eigene Vorstellungen bereits in die, meist in den Fachabteilungen der Bundesministerien oder der EU-Kommission geschriebenen, ersten Gesetzentwürfe einzubringen. Notwendig dazu sind, neben guten persönlichen Kontakten zu den jeweiligen Experten, vor allem sachlich richtige, fundierte Argumente. Wissenschaftliche Studien können da helfen. Die Darstellung des wirtschaftlichen Nutzens oder Schadens für die eigene Branche ist ebenfalls fundamental. »Der Westen« gibt es zu: »Lug und Trug« führen nicht weiter, sondern Verlässlichkeit und Korrektheit.

Die meisten guten Ideen – sprich Gesetz- oder Regelungsentwürfe – bleiben aber zunächst in den Schubladen ihrer Urheber liegen – bis die »politische Großwetterlage« ihre Vorlage durch die jeweiligen Minister oder EU-Kommissare opportun erscheinen lässt. Die Managementkapazität der politischen Akteure ist begrenzt; nicht alle guten Ideen können gleichzeitig diskutiert und umgesetzt werden; und vieles wird erst diskutiert, wenn es dringend oder aktuell wird.

Wenn nun die Debatte um eine Causa im Bundestag beginnt, liegt sie kaum noch in der Hand des jeweiligen Ministers. Und weil die Gefahr zu groß ist, dass eine Idee im Parlament zerredet, verwässert oder abgelehnt wird, ist die Wahl des richtigen Zeitpunkts für ihre Vorlage so wichtig. Es geht schließlich immer auch darum, sich zu profilieren. Einem Verband kann es gelingen, einen Politiker dabei zu beraten, wann dieser richtige Zeitpunkt gekommen ist. Das ist die hohe Kunst des Lobbyismus. Aber dazu vielleicht an anderer Stelle mehr.

Jeglicher Gesetzgebungsvorschlag muss nun in jedem Fall eine Mehrheit im Parlament erhalten – und bitte glauben Sie nicht, dass dies automatisch geschehe. Zwei Dinge sind hier zu beachten:

1. Die Interessenlage des einzelnen Abgeordneten

Welche Entscheidung (pro oder contra) lässt sich im eigenen Wahlkreis besser »verkaufen«, welche entspricht am ehesten dem Willen der eigenen Wähler, welche erhöht die Chancen einer Wiederwahl?

Ob man an dieser Stelle mit geschönten Statistiken, einseitigen wissenschaftlichen Studien oder Halbwahrheiten weiterkommt, ist mehr als fraglich. Denn man ist schließlich nicht allein unterwegs. Oftmals kann man nur eine positive Verstärkung der bereits vorgefassten Meinung des einzelnen Abgeordneten erreichen.

Weiterhin: Es mag sinnvoll sein, den einzelnen Abgeordneten von der eigenen Meinung zu überzeugen, aber erstens ist dies sehr aufwändig, wenn man eine Mehrheit hinter sich bringen will, und zweitens ist es ziemlich unsicher, wenn es (plötzlich) nicht mehr um die eigentliche Sache geht. Denn:

2. Die Interessenlage der Partei/Fraktion/Regierung

In allen Fraktionen und Parlamenten gibt es eine Arbeitsteilung: Kein Abgeordneter kann den Überblick über alle Themen des Parlaments behalten, und so werden die Themen untereinander »verteilt«. Einzelne Abgeordnete werden, als Experten für bestimmte Themen, zu »Sprechern« oder richtungsweisenden Entscheidungsvorbereitern. Meist sind sie die jeweiligen Vorsitzenden der Fraktionen oder Parteien in den jeweiligen Arbeitsgruppen, Ausschüssen oder dergleichen.

Weil einzelne Abgeordnete zu den meisten Themen kein eigenes tiefgreifendes Wissen haben und weil viele Themen die Wähler im eigenen Wahlkreis nicht unbedingt stark interessieren oder polarisieren, stimmen die meisten Abgeordneten nach den Abstimmungsvorschlägen der jeweiligen Sprecher.

Diese wiederum haben nicht nur die eigentliche Sachfrage zu beurteilen.

Offensichtlich ist es sinnvoll, die »Sprecher« in Sachfragen zu kontaktieren und überzeugen zu wollen.

Für sie sind auch übergeordnete Fragen wichtig: Gibt es in der zu entscheidenden Frage ein »strategisches« Interesse der Partei oder Fraktion? Muss sie im Zusammenhang mit anderen Entscheidungen gesehen werden?

Wer als Lobbyist – von der Richtigkeit der eigenen Ansicht überzeugt – enttäuscht ist, wenn Entscheidungen nicht “sachlich richtig” gefällt werden, darf nicht verkennen, dass es im Gesetzgebungsprozess nicht um eine technokratische Optimierung geht, sondern immer um Abwägen von Interessen, Aushandeln von Kompromissen und Bildung von Paketlösungen. Im Endeffekt versucht jeder einzelne Parlamentarier, unter’m Strich den größtmöglichen Nutzen seiner Wähler zu erreichen. In vielen Einzelfällen kommt dabei nicht heraus, was ein wohlwollender, allwissender Diktator am Reißbrett entworfen hätte.

Das ist Demokratie. Der Lobbyist hat seinen Anteil darin, in dem er die Abgeordneten berät und Sachverstand einbringt. Mehr nicht.