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Der Sinn politischer Sonntagsreden

Der CDU-Parteitag in Köln in dieser Woche gibt Anlass, über die Wahrhaftigkeit und den Sinn politischer Rhetorik nachzudenken. Warum wird soviel versprochen und so wenig gehalten? Warum all’ die Sonntagsreden?

Aus der Serie: Gedanken zur politischen Kommunikation, Teil 1.

Was will uns diese Werbesendung sagen?

Eine Sonntagsrede, so der Duden, bezeichnet abwertend eine zu feierlichen Anlässen gehaltene Rede mit großen, aber der Realität meist nicht standhaltenden Worten.

Sonntagsreden kommen offenbar ziemlich häufig vor, immerhin haben wir im Deutschen ein eigenes Wort dafür. Es muss sich also lohnen, Sonntagsreden zu halten – und auch wenn es keiner zugeben würde: Es kann sich nur lohnen, weil Sonntagsreden auch gehört werden. (Sonntagsreden werden natürlich nicht nur Sonntags gehalten.)

Eine Sonntagsrede hat also zwei wesentliche definierende Elemente, erstens die großen Worte und zweitens deren offenkundig schwere bis unmögliche Umsetzbarkeit.

1. Große Worte – bloß nicht festlegen!

Der Inhalt von Sonntagsreden ist oft bewusst unklar, unkonkret, vage und offen. Damit gibt er dem Zuhörer den größtmöglichen Interpretationsspielraum — jeder kann hören, was er hören will. Dies wiederum maximiert die Zustimmung im Publikum. Aus Sicht des Politikers ist das schon einmal ein Erfolg.

Ein Beispiel: Michael Müller, seit 11. Dezember 2014 neuer Regierender Bürgermeister von Berlin, spricht gern vom »guten Regieren« in Berlin. Dagegen kann man nun wirklich nichts einwenden. Kritik am Stil seines Vorgängers schwingt nur leise mit, lauter wird die Hoffnung ausgedrückt, alles werde besser werden, eben »gut«. Details wären hier störend.

2. Umsetzbarkeit – bloß nicht festlegen?

Andererseits fordern Politiker in Sonntagsreden gern auch ganz konkrete Dinge. Dies ist kein Widerspruch zum oben gesagten, denn diese konkreten Forderungen werden dadurch relativiert, dass sie von vornherein nicht oder nur schwer umsetzbar sind.

Jugendliche sind chronobiologisch meist »Eulen«! Mein Plädoyer für späteren Schulanfang gegen 9 (Betreuung ab 7:30)
– Dr. Kristina Schröder (CDU)

Ein Beispiel ist die Forderung der ehemaligen Familienministerin Dr. Kristina Schröder zum Schulbeginn um 9 Uhr, den sie anlässlich des CDU-Parteitags in dieser Woche per Twitter und Blog veröffentlicht hat. (Sonntagsreden können auch schriftlich verabreicht werden.)

Wer wollte dagegen sein? Jeder der Kinder hat, kann dem nur zustimmen, insbesondere, da sie mit dem Klammerzusatz „Betreuung ab 7:30“ auch die Eltern »ingefangen«hat, die ihre Kinder berufsbedingt nicht erst um kurz vor neun aus dem Haus gehen lassen können. Andererseits weiß jeder, dass dieser Vorschlag wohlfeil ist, denn Schulpolitik ist Ländersache, und eine solche Änderung würde die Routine von Schulen, Eltern, Arbeitgebern, kommunalen Busunternehmen, Sportvereinen und vielem mehr derart durcheinander bringen, dass eine Einigung dieser vielen Beteiligten vollkommen ausgeschlossen ist. (Wo kämen wir denn auch hin, wenn sich das reichste Land der Erde erlauben wollte, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wohle seiner Schüler umzusetzen?)

Egal also, ob eine Sonntagsrede Worthülsen oder nicht umsetzbare Forderungen enthält: Sie wird gehalten, sie wird aufgenommen. Warum?

Verbindungen schaffen

Das oben gesagte lässt nur den Schluss zu, dass der konkrete Inhalt einer Sonntagsrede nicht wichtig ist. (Und der umkonkrete auch nicht.) Eine Sonntagsrede transportiert keine Botschaft auf der Inhaltsebene, sondern auf der Beziehungsebene. (Dies folgt aus dem zweiten Axiom von Paul Watzlawik: Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.) Reden schaffen in allererster Linie Zustimmung. Sie erzeugen positive Gefühle der Rezipienten der Vortragenden gegenüber. Sie versichern dem Politiker die »Gefolgschaft« seiner Wähler. Sie stärken das Band zwischen Wähler und Wahlvolk.

Große Anlasse gebieten große Worte, daher werden Sonntagsreden nicht in Arbeitsgruppensitzungen geschwungen, sondern vor großem Publikum. Es geht bei ihnen nicht um Problemlösungen. Es geht um den Zuspruch des Publikums.

Ein weiteres Beispiel: Vor einem Fachpublikum während eines Kongresses sprach sich der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser kürzlich dafür aus, globale Nachhaltigkeitsstandards zu setzen. Wer wollte dem widersprechen? Selbstverständlich gehen wir in Europa von unseren hohen Standards nicht ab, und wenn der Rest der Welt uns folgt, so ist das doch gut für alle, oder? Ob und wie dies umsetzbar wäre, darüber wurde nicht gesprochen. Es ging nur darum zu signalisieren, dass man einer Meinung ist: Gut für das Ministerium, gut für die Wirtschaft.

Dies ist also letztlich der Grund, warum Sonntagsreden gehalten und gehört werden. Und warum sie für einige spannend und für andere langweilig sind. Sind wir noch einer Meinung? Ziehen wir noch an einem Strang? Durchaus interessant. Andererseits: Wer sich der gemeinsamen Basis schon sicher ist, braucht nicht zuzuhören. Und wer mit dem Redner keine gemeinsame Basis hat oder aufbauen möchte, hört auch nicht zu.

Deswegen sind Sonntagsreden immer ein »Heimspiel«. Deswegen stammen die hier zitierten Aussagen von Herrn Müller aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, die von Frau Schröder vom Parteitag und die des Staatssekretärs aus dem Schlusswort eines Fachkongresses. Deswegen sind Sonntagsreden Wahlkampfreden »nach innen«, an die eigene Basis – im Gegensatz zu Wahlkampfreden, die auch der Einschüchterung des politischen Gegners dienen, aber das ist Thema für einen zukünftigen Essay.