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Unter Gutmenschen: Eine Glosse

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, bei einer Vortragsveranstaltung von MISEREOR an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. Es ging von der Abschaffung der europäischen Zuckermarktordnung, über den Genozid an indigenen Völkern in Brasilien bis hin zur Veränderung der Rahmenbedingungen am indischen Milchmarkt durch die WTO. Kurz: Eine große Gemengelage aus Wirtschaftspolitik und Entwicklungshilfe.

Zucker

Ich war als Vertreter »der Wirtschaft« eingeladen worden, um zur Ausbeutung und Umweltzerstörung durch den globalen Zuckeranbau im großen Maße Stellung zu nehmen. Dumm nur, dass die Fakten anderes sagen: Die europäische Zuckermarktordnung verhindert seit Jahrzehnten effektiv, dass größere Mengen Zuckers importiert werden. Vor allem Brasilien ist »außen vor«. In die EU liefern dürfen hauptsächlich die ärmsten Länder der Welt (unter dem EBA-Abkommen) und die ehemaligen Kolonien europäischer Staaten in Afrika, der Karibik und im Pazifik (AKP-Länder). Damit hat die europäische Zuckerpolitik ausdrücklich auch die Entwicklungshilfe zum Ziel.

Christoph Freitag bei MISEREOR: „Bei Zucker bleibt die EU vom Weltmarkt abgeschottet.“ #milchundzucker
– BOGK e. V. (@bogk)

Milch

Dem Kollegen von der Milch wurde vorgeworfen, die Milchexporte der EU zerstörten die kleinbäuerlichen Strukturen in Indien. Es gebe zuviel billige Milch in Indien. Tatsächlich erhebt Indien nach wie vor hohe Einfuhrzölle auf Milch und Milchprodukte. Unter diesem Schutz konnte sich die indische Milchproduktion in den letzten Jahren gut entwickeln; Indien ist sogar zum Milchexportland geworden. Zur Zeit gibt es am indischen Markt aber zuviel Milch, u. a. auch, weil die Weltmarktpreise so niedrig sind, dass sich der Export nicht mehr lohnt. Indien muss seine Produktion einschränken.

Auf diesen naheliegenden Schluss konnte sich die Konferenz aber leider nicht einigen. Vielmehr vertrat die Mehrheit der Diskutanten in Podium und Publikum die Meinung, die kleinbäuerliche (Über-)Produktion müsse schon allein wegen der Rechte auf Nahrung und Teilhabe staatlich geschützt werden. Kurze regionale Wirtschaftskreisläufe seien ökonomisch und sozial die einzige Lösung. Vor allem gegenüber dem »verzerrenden« Export von Nahrungsmitteln aus der EU gegenüber herrschten enorme Ressontiments. Dass weder Zucker noch Milch aus der EU die Auslöser der diskutierten sozialen Probleme in Brasilien und Indien sind, wurde schlicht nicht zur Kenntnis genommen.

Fazit

Eine sachliche Diskussion zwischen Akteuren der Wirtschaft und der Entwicklungshilfe scheitert offenbar schon am jeweiligen Weltbild. Obgleich es de facto keinen Interessengegensatz gibt – beide Parteien freuen sich über Erhöhungen von Wohlstand und Kaufkraft –, verhindert ein Mangel an Verständnis für die Mechanismen der Wirtschaft einerseits und vielleicht auch für die Zwänge der Entwicklungspolitik andererseits eine effektive Kommunikation. Das ist schade.