Löwe
Bild: Jean Wimmerlin

Verbandsführung

»Der Verband vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Öffentlichkeit und anderen Wirtschaftszweigen.« So oder ähnlich steht es in vielen Satzungen. Aber was heißt das genau? Von welchen Interessen sprechen wir?

Bei Unternehmen ist es einfach: Die meisten haben schlicht ein Ziel, Profitmaximierung. Manchmal gibt es Nebenbedingungen: Familienunternehmen sollen möglichst von der nächsten Generation fortgeführt werden, Genossenschaften unterliegen einer demokratischen Willensbildung usw.

Verbände haben kein eigenes Ziel. Ihre raison d’être ergibt sich aus der Summe der Ziele, die ihre Mitglieder ihnen übertragen. Welche Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich daraus für diejenigen, die einen Verband erklärtermaßen führen? Welche Konsequenzen hat beispielsweise ein personeller Wechsel an der Verbandsspitze?

Mancher Regierungschef bezeichnet sich selbst als »erster Diener seines Staates«. So geht es auch dem Vorsitzenden im Verband.

Ein Verbandsvorsitzender, der versuchte, einen Verband für seine eigenen – unternehmerischen oder persönlichen – Ziele einzusetzen, würde schnell den Widerstand der anderen Verbandsmitglieder spüren. Erklärtermaßen steht das gemeinsame Wohl dennoch auch fast immer im Mittelpunkt des Denkens und Handelns von Verbandsführungen. Das gemeinsame Wohl ändert sich aber nur langsam, schrittweise, soweit und sofern die Mitglieder ihre Ziele oder politischen Vorstellungen ändern.

Änderungen der Ausrichtung eines Verbandes lassen sich nicht diktieren. Ein Vorsitzender kann Strömungen im Verband erkennen, aufnehmen, verstärken, zuspitzen und so Änderungen anstoßen – Voraussetzung ist aber stets die breite Zustimmung der Mitglieder, die ihn gewählt haben. Ein Verband ist eben kein Unternehmen. Das Grundprinzip der Machtausübung im Unternehmen ist »top down«, im Verband ist es »bottom up«.

Was kümmert mich, wer unter meiner Geschäftsführung Vorsitzender des Verbandes ist? (anonym)

Hauptamtliche Geschäftsführungen wissen das. Formal mögen sie vor allem dem Vorstand – oder allein dessen Vorsitzendem – berichten, tatsächlich sind sie allen Mitgliedern verpflichtet. Sie moderieren gegensätzliche Ansichten, suchen Kompromisse, verfolgen langfristige Ziele, bewahren meist auch den Status quo. »Verbandsführung« ist daher ein Oxymoron.