© Fabien Bazanegue

Veröffentlichung der »TTIP-Leaks« ist leeres Theater

Greenpeace in den Niederlanden hat mit großem Tamtam ein paar geklaute Verhandlungsdokumente ins Netz gestellt. Spannend ist das aber nicht.

Vier Thesen

Greenpeace hat wieder mal großen Wirbel um TTIP veranstaltet und »geheime Dokumente« veröffentlicht. Schon gestern Abend konnte man sich bei Twitter darauf einstimmen. Große Tageszeitungen in Europa hatten vorab Wind bekommen und gezielt Gerüchte gestreut. Im Grunde ist das Theater aber furchtbar langweilig; die Dokumente enthalten wenig neues.

Verhandlungen um bilaterale Handelsabkommen könnten so viel interessanter sein, wenn man die Verhandlungen nur ein wenig anders anpacken würde.

Daher hier vier Thesen zu den Leaks:

These 1: Harte Verhandlungen gehören dazu

Allenthalben hört man, es sei unerhört, wie hart die#USA mit uns Europäern umspringen. Ein Beispiel:

Geheime #TTIP-Dokumente enthüllt: US-Druck weitreichender als bislang bekannt https://t.co/0YsBxJw0Pj
– abgeordnetenwatch.de (@a_watch)

Dabei ist das das Wesen von Verhandlungen. Heisst es nicht »wenig fordern ist Faulheit«? Die EU wäre schön dumm, wenn sie nicht ebenfalls haarsträubende Forderungen hätte – aus Sicht der USA. Und die hat sie auch, beispielsweise die Forderung nach dem Schutz geographischer Angaben bei Lebensmitteln. Dies ist für uns Europäer selbstverständlich, oder?

So selbstverständlich, dass es keiner Leaks-Enthüllung bedarf, so wie dieser hier:

Die #TTIP-#Lüge der hohen Standards: US-Senatoren wollen nur zustimmen, wenn Hormonfleisch & Gift-Gemüse im Deal sind https://t.co/yDHKfp52kL
– Sven Giegold (@sven_giegold)

Aber halt: Die Forderung, »Hormonfleisch« nach Europa liefern zu dürfen, war ja auch nicht neu. Die gab es schon im letzten Jahrtausend; genauso lange gibt es ein EU-Importverbot – und seit 2009 erheben die USA Strafzölle auf eine rollierende Liste europäischer Lebensmittel.

These 2: Der Schnellere hat die Deutungshoheit

Haben Sie die Leaks schon durchgearbeitet? Nein? Aber schon runtergeladen? Immerhin. Falls nicht: Hier geht’s zum Link.

Können wir ernsthaft eine Debatte über 248 Seiten Verhandlungstext führen, die wir seit einer Stunde kennen? Wer vermag die vielen eckigen Klammern zu interpretieren, die die Texte – wie alle Verhandlungspapiere – enthalten? Wer kann feststellen, was wirklich neu ist in den Papieren, was »Sprengstoff« enthält, was welchen Stellenwert in den Verhandlungen hat und möglicherweise eine reelle Wirkung auf das Verhandlungsergebnis?

Niemand kann das. Die Papiere sind erst seit einer Stunde online. Aber Greenpeace liefert ja nicht nur die geklauten Dokumente, sondern die Deutung gleich mit. Nur: Sollen wir uns dieser Deutung einfach so anschließen? Wäre es nicht besser, erst einmal allen die Chance zu einer ruhigen Analyse zu geben? Und sollen wir ausgerechnet den Informations-Hehlern unser Vertrauen schenken?

These 3: In der Sache nichts Neues

Manch eine tut ja ganz erstaunt, was in den Verhandlungspapieren so drinsteht:

Europäische Standards bedroht: Einblick in geheime TTIP-Papiere | tagesschau.de https://t.co/iAYORekasK
– Sophie Herr (@SophieHerr)

Aber mal ehrlich: Dass die Amerikaner andere Standards haben als wir, und dass manche NGOs hierzulande diese Standards für niedriger halten als die der EU, ist doch wirklich ein alter Hut. Außerdem geht es nicht um die Angleichung von Standards, sondern um die gegenseitige Anerkennung. Wenn ein Lebensmittel auf der einen Seite des Atlantiks für sicher gehalten wird, soll es auf der anderen Seite nicht nochmal eine Testprozedur durchlaufen müssen. Eine Angleichung von Standards wäre ein Mammutprogramm, von dem alle wissen, dass es nicht gelingen könnte. Davon ist daher bei TTIP gar nicht die Rede. Noch nie. Europäische Standards bleiben europäische Standards. Von Bedrohung keine Spur.

Im Endeffekt wird es darum gehen, ob einige Lebensmittel, die bisher vom Handel ausgeschlossen sind – z. B. das »Hormonfleisch« – künftig ex- bzw. importiert werden dürfen, wenn sich entsprechend gekennzeichnet sind. Dass ausgerechnet die NGOs, die sonst so pro Kennzeichnung argumentieren, sich diesem verschließen, ist nicht wirklich logisch. (So z. B. Foodwatch zum Thema vegan.)

These 4: Umgekehrte Verhandlungen fördern die Demokratie

Die endlose Wiederholung bekannter Positionen der NGOs, so wie heute, steht im Gegensatz zur angeprangerten Geheimniskrämerei der Verhandlungsparteien. Dabei, das habe ich oben ausgeführt, gibt es kaum Geheimnisse. Und das liegt auch daran, dass die wirklich »harten Brocken« der Verhandlungen noch gar nicht auf dem Tisch sind; sie stehen nicht mal in den geheimen Papieren. EU und USA behalten sich Trümpfe im Ärmel, die sie gegen Ende der Verhandlungen ausspielen wollen.

Woher ich das weiß? Ich weiß es nicht. Aber es ist die übliche Verhandlungstaktik. Leider. Denn wenn beide Parteien von Anfang an die »harten Nüsse« offen miteinander besprechen würden, könnten sich alle einmal kräftig aufregen und dann in einen sinnvollen Dialog eintreten. Recht bald wäre klar, ob es ein Abkommen geben kann, oder nicht, und wie es aussehen würde. Die Wiederholung von Endzeit-Szenarien bei Twitter bliebe uns erspart.

Our worst fears confirmed by #TTIPleaks. This is corporate power grab. https://t.co/nH6RHMRftU #StopTTIP
– Molly MEP (@MollyMEP)