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Wahljahre: Wahlversprechen

Soziale Gerechtigkeit, kostenlose Bildung von der Kita bis zum Studium, Mittelstandsförderung auf Industrie 4.0 - die SPD verspricht derzeit Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Verbrauchern und Herstellern das Blaue vom Himmel. Verbände machen dabei mit.

Wahljahre sind gute Jahre

Wahljahre sind geschenkte Jahre für Verbände. Schon früh formulieren sie »Wahlprüfsteine«, stellen »Wahlforderungen« auf, bringen Positionspapiere auf den neuesten Stand. Im rechten Abstand zur Wahl veranstalten sie parlamentarische Abende – vor der Wahl, aber besonders nach der Wahl, um die »neuen« kennenzulernen und gleich richtig zu briefen.

Den Mitgliedern demonstrieren sie somit Aktivität, beweisen in den wichtigen Themen »Federführung«, präsentieren ihr Netzwerk. Hier bekommt man etwas für sein Geld! Im Idealfall werden die Mitglieder in die Themensetzung, Forderungsfomulierung und Politikergespräche sogar eingebunden.

Wenn alles gut läuft, kann man hinterher stolz behaupten, man habe »wichtige Forderungen durchgesetzt«, »verankert« oder wenigestens »teilweise erreicht«. Aber ist es wirklich so einfach?

Tatsächlich finden sich in jedem Koalitionsvertrag, in jedem Regierungsprogramm Punkte oder Passagen, die den eigenen Vorstellungen entsprechen. Mitunter hat man als Lobbyist tatsächlich direkt an der Formulierung mitgewirkt.

Andererseits ist kein Lobbyist allein unterwegs. Niemand von uns weiß mit Sicherheit, was die Kollegen mit »der Politik« besprochen haben. Die stolz als Ergebnis der eigenen Arbeit beanspruchten politischen Bekentnisse können oft genauso gut auf das »Einflüstern« anderer zurzückzuführen sein.

Außerdem: Papier ist geduldig. Wir wissen um die Umsetzung von Koalitionsverträgen. Darin liegt aber auch eine Chance, und zwar wieder für Politiker und Verbände: Wenn es nicht so kommt wie geplant, war eben der politische Gegner schuld.

Alles heisse Luft?

Sind Politik und Lobbying nun gleichermaßen nichts als Schaumschlägerei? Mitnichten. Im Kern geht es doch stets um Macht und Geld. Und die sind sehr real. Es kommt darauf an, dies klar zu erkennen und klar zu benennen. Und den Mut aufzubringen, ein Ziel langfristig zu verfolgen und nicht Beschlüsse als Erfolge zu vermelden, sondern deren Umsetzung.

Ein Beispiel: Die Sozialdemokratie in Deutschland hat sich jahrzehntelang für einen gesetzlichen Mindestlohn eingesetzt. Dessen Vereinbarung im Koalitionsvertrag im Jahr 2013 war noch kein Erfolg, erst das Gesetz im Jahr 2015. Insbesondere die Bauern und Teile der Ernährungsindustrie haben – aus guten Gründen – die Gefahren eines einheitlichen, über Nacht eingeführten Mindestlohns beschworen. Die Ausnahmen, die für Saisonarbeitskräfte im Koalitionsvertrag standen, waren für die Verbände tatsächlich aber auch kein Erfolg, besonders, weil diese Ausnahmen im späteren Gesetzgebungsprozess kassiert wurden.

Aber war der Mindestlohn nun der persönliche Erfolg von Arbeitsministerin Andrea Nahles? Oder hat sie nur den Schlussstein in einem langen Bauprozess gesetzt? Ähnlich ist es in Verbänden. Erfolge haben viele Väter.

Dennoch darf man sich auch über kleine Schritte freuen. Die Aufnahme einer Verbandsforderung im Koalitionsvertrag etwa ist schon ein Anlass für ein stolzes Rundschreiben. Wahljahre sind gute Jahre für Verbände.