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Was sind Lebensmittel noch wert?

Die kurze Antwort: nichts.

Die Bauern klagen über einen enormen Preisverfall bei Obst, Gemüse, Milch und Fleisch. Angeblich liegt es am Ölpreis. Oder an der Agrarpolitik. Tatsache ist, dass es genug Lebensmittel gibt – mehr als genug. Das drückt den Preis.

Im neuen Supermarkt des easyjet-Gründers Stelios Haji-Ioannou können Verbraucher in London jetzt Grundnahrungsmittel für je 25 Pence (33 Euro-Cent) kaufen. Nach ein paar Tagen musste der Laden schon wieder schließen – ausverkauft. Lebensmittel sind offensichtlich nichts mehr wert. Bei easy gibt es zwar nichts frisches – hauptsächlich Konserven – aber die Frage des Werts unserer Lebensmittel betrifft die Branche ganz generell.

Was nichts wert ist, wird verschwendet. Der BOGK hat daher den »Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung« ausgerufen. Es heißt, jeder Bundesbürger werfe pro Jahr unnötigerweise 84 kg Lebensmittel weg. Dies sei teuer und unmoralisch. Der Verband fordert die Verbraucher daher auf, mehr verarbeitete Lebensmittel (sprich: Konserven) zu kaufen, denn es sei »erwiesen, dass die Verschwendung dadurch um ein Drittel reduziert werden könne«.

Die Schwierigkeit für Hersteller von Konserven ist klar: Die Nachfrage tendiert seit Jahren eher zu frischem Obst und Gemüse; die Preise für verarbeitete Produkte fallen. Ein bisschen moralischer Anschub für die Konservennachfrage kann da nicht schaden.

Aber das Problem liegt tiefer: Obst und Gemüse sind nicht knapp, außer eine Ernte fällt einmal schlecht aus. Mit Verarbeitungsprodukten aus Obst und Gemüse lassen sich keine großen Margen erzielen; die Konkurrenz ist hoch, auch aus dem Ausland. Weltweit gibt es im Prinzip genug Obst und Gemüse. Das gleiche gilt für Milch und Fleisch. Ein Beispiel? Indien ist heute einer der weltgrößten Lebensmittel-Exporteure.

Die moderne Landwirtschaft – mit ihren Errungenschaften in Pflanzenzüchtung, Pflanzenschutz, computergesteuertem Anbau und maschinisierter Ernte – macht es möglich, weltweit heute sieben und bald schon elf Milliarden Menschen zu ernähren. Diesem Ziel steht hauptsächlich die Lebensmittelverschwendung entgegen – allerdings die, die sich in den weniger entwickelten Ländern zwischen Feld und Markt vollzieht. Mit anderen Worten: Die Knappheit entsteht in der Logistikkette. Und mit der Knappheit steigt der Preis von Lebensmitteln. Auf dem Feld sind sind sie im Grunde noch wertlos. Erst durch Ernte, Transport und Verarbeitung gewinnen sie an Wert – und durch Verluste dabei.

Daraus folgt zweierlei:

  1. In dem Maße, wie Landwirtschaft, Industrie und Handel ihre Prozesse besser in den Griff kriegen, werden die Lebensmittelpreise weiter sinken. Der Preis, der für Lebensmittel bezahlt wird, ist in Wirklichkeit ein Preis für die in ihnen verkörperte Arbeits- und Organisationsleistung vom Feld zum Verbraucher.

  2. Hohe Preise sind nur für Zusatzleistungen (Zusatznutzen) erzielbar, also beispielsweise für Lebensmittel aus der Region, in Bio-Qualität oder mit bestimmtem angenommenen gesundheitlichen Zusatznutzen. Dabei wird ganz nebenbei auch gelegentlich eine (künstliche) Knappheit erzeugt.

Angebote wie aus dem easy-Laden in London werden daher keineswegs, wie »Experten« sagen, wieder vom Markt verschwinden. Vielmehr werden Lebensmittel – zumindest Grundnahrungsmittel – künftig nur noch verteilt, nicht mehr verkauft. Sicherlich wird es auch schönere, teurere Geschäfte geben, aber dort wird man hauptsächlich für das Einkaufserlebnis zahlen. In Deutschland ist das schon zu besichtigen.